Donnerstag, 31. Mai 2007
Intermezzo in Figueira
Ja, ich gestehe, Asche auf mein Haupt, ich habe in den letzten Wochen keine Berichte mehr geschrieben. Aber was soll ich auch tun, wenn ich Familie gewechselt habe und dann auch noch die heftigsten Testphase kommt? Nein, das ist keine Entschuldigung, es ist eine Tatsache ;-)

Fang ich bei dem Familienwechsel an: Nachdem ich im letzten Bericht ja geschrieben hatte, dass die Situation wirklich nicht gut stand, hatte AFS versucht mir einen neue Familie zu arrangieren. Nach 2 Wochen Sendepause (ich wusste gar nichts), wurde mir dann mitgeteilt, dass es fuer mich eine Familie in Setúbal in der Naehe von Lissabon gaebe. Da ich aber mein Schuljahr nicht vorfristig abbrechen wollte, um dort dann fuer 3 Wochen in eine neue Schule zu gehen, gab es die Alternativ noch 2 Wochen in meiner alten Familie zu bleiben und erst nach dem letzten Test zu gehen. Aber dann tauchte ploetzlich meine Schulpsychologin auf und sagte, dass ich doch in ihrem Haus in Figueira selbst wohnen duerfte. Nach etwas AFS-Buerokratie ging es dann an einem Wochenende, mit nicht zu vergessen die Traenen meiner alten Gastfamilie, in das neue Heim. Der Abschied von meiner Gastfamilie im Dorf war dennoch nicht ganz einfach. Zunaechst einmal auf der praktischen Seite, da ich sage und schreibe fuenf Taschen mit meinen Sachen gefuellt hatte. Besonders erschreckte mich der in einem nicht erwarteten Ausmass gewachsene Buecherstapel. Es ist aber auch so, dass ich pro Monat mindestens zwei oder drei Buecher kaufe, ich dann aber auch noch besonders von portugiesischen Lehrer immer mal wieder ein Buch geschenkt bekommen. So war es dann kein Wunder, dass ich ingesamt 25 Kilogramm Buecher angesammelt hatte. Nachdem ich dieses praktische Problem geloest hatte, wartete noch das emotionale Problem auf mich. Immerhin hatte ich neun Monate in dieser Familie verbracht und trotz einiger Probleme mochte ich die Person immernoch. Beim Abschied, bei dem ich vom Kommiteechef und meiner Counsellorin abgeholt wurde, vergoss dann aber auch meine Gastmutter zahlreiche Traenen, da es fuer sie ein Schock war, dass nach drei erfolgreichen Beziehung zwischen Familie und Austauschschueler ein Schueler vorfristig Netos verliess.

Nun wohne ich schon seit gut zwei Wochen in einem Einfamilienhaus direkt in Figueira da Foz, etwa 400 Meter vom Strand entfernt. Pech nur, dass gerade jetzt wieder der Winter in Portugal eingesetzt hat und es nur noch regnet und regnet und regnet. Aber selbstverstaendlich gibt es auch ein anderes Vorteil meiner neuen Gastfamilie: Ich kann jetzt bis 7:45 schlafen und werde gemeinsam mit meinem Gastbruder zur Schule gefahren, die Schule liegt etwa 5 Minuten mit dem Auto entfernt. Aber anstatt von den Vorteilen zu reden, stelle ich lieber meine neue Gastfamilie vor:

Meine neue Gastfamilie

Auf diesem Bild sieht der werte Leser meine neue Gastfamilie. Von links angefangen, ist dort João Rafael. Er ist (glaube ich) 15 und geht in eine Klasse unter mir auf die selbe Schule. Still aber sehr nett, verstehe ich mich sehr gut mit ihm, was nicht nur durch die geteilte Computersucht kommt... Neben João ist Leonilde, meine neue Gastmutter. Leonilde ist von Beruf Schulpsychologin und ist an meiner Schule angestellt. Sie lebte frueher in Mosambik (port. Kolonie) und zog dann mit der Familie nach dem 25. April 1974 nach Portugal zurueck. Neben Leonilde steht Liliana, meine Gastschwester. Liliana ist genau das Gegenteil von João, immer am reden, immer am Witze reissen, ist mir sehr sympathisch :-) Sie war auch auf meiner Schule und hat mehrmals Ehrungen als beste Schuelerin der Schule und der Stadt abgesahnt, jetzt ist sie Medizinstudentin in Coimbra und kommt nur fuers Wochenende nach Figueira. Bitte dabei beachten: Medizin zu studieren ist hier genauso schwierig (oder noch schwieriger) als in Deutschland, der NC ist hier extrem hoch, weil jeder Mediziner werden moechte... Neben Leonilde steht mein Gastvater José, der beruflich als Hilfsnotar arbeitet. Er liebt Benfica (Fussball....) heiss und innig, ist aber sonst wie João relativ still.

Karikatur bzgl. eines port. Autofahrers
Habe ich schon mal etwas zum portugiesischen Autofahrer an sich geschrieben? Nein, ich glaube nicht; so ist das wohl mal noetig. Der portugiesische Autofahrer an sich kennt generell keine Regeln und so ist es auch nicht verwunderlich, dass Portugal die hoechste Quote von toedlichen Unfaellen im Strassenverkehr in ganz Europa hat.. Und das meinerseits keine Einzelbeobachtung, das habe ich schon bei mehreren port. Autofahrern gesehen: Angefangen bei meiner ehem. Gastmutter, die mit ihrem Kleinbus durch die Doerfer fegte, um die Schulkinder dort abzusetzen, und sich dann ueber andere "Verkehrsrowdies" zu beschweren. Aber auch bspw. mein ehem. Gastbruder Miguel fuhr ohne Sorge nachts bis zu 180 auf der Nationalstrasse, wo eigentlich nur 90 erlaubt waren (das ist kein Scherz). Auch meine neue Gastfamilie unterscheidet sich da nicht gross. Mein Gastvater José rast mit dem Auto morgens zur Schule, sodass ich das Gefuehl habe, dass wir wirklich nicht zu spaet zur Schule kaemen, ws natuerlich nicht der Fall ist... Manchmal glaube ich wirklich nicht, was auf dem Speedometer steht, weil die Zahlen so exorbitant hoch sind. Passend zu dieser kurzen Beschreibung habe ich in meinem Portugiesischbuch eine niedliche Karikatur gefunden, siehe rechts. Von oben nach unten heisst es:
* A delicadeza do elefante / Das Feingefühl eines Elefanten
* O discernimento da galinha / Das Unterscheidungsvermögen eines Huhns
* A moderação do papagão / Die Zurückhaltung eines Papageis
* A simpatia do crocodilo / Die Sympathie eines Krokodils
* A calma do mosquito / Die Ruhe eines Moskitos
* O condutor português / (ergeben) einen portugiesischen Autofahrer
Nett, nicht? ;)

Viele Gruesse und (ich verspreche) bis bald -- Cornelius

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Mittwoch, 3. Januar 2007
Bom ano novo
Olá, selbstverständlich wird auch in Portugal Silvester gefeiert und selbstverständlich auch hier mit relativ viel Feuerwerk (fogo de artifício). Doch der Reihe nach:

Der 31. Dezember lief absolut normal ab, ich hatte das Gefühl, es wäre ein Tag wie alle anderen Ferientage. Vielleicht eine kleine Ausnahme war, dass das Fernsehprogramm wieder mit zahlreichen Estreias gespickt war, zu Denglish Free-TV-Premiere: Shrek 2, Spiderman 2 und was weiß ich noch nicht alles. Erst am Abend wurde mir erklärt, dass mein Gastbruder Miguel, meine Gastschwester Milene und ich gemeinsam nach Figueira da Foz fahren, um dort Passagem do ano zu feiern. Währenddessen liefen im Fernsehen bereits teilweise kleine Uhren in der Ecke, die anzeigten wie viele Stunden denn es noch bis 2007 seien.

Nach einer rasenden Autofahrt, mein Gastbruder fährt auf Nationalstrassen statt der erlaubten 50 gerne mal 120, kamen wir mit drei Plastikbechern und einer Flasche Sekt heil in Figueira da Foz an. Dort gab es erstmal das Problem der Parkplatzsuche, da wir anscheinend nicht die Einzige waren, die hier "feiern" wollten. Später sind wir zur langen Strandpromenade von Figueira gelaufen, dort sah ich dann, dass sehr, sehr, sehr viele Menschen hier feiern wollte und bereits feierten. Eine Bühne war aufgebaut und ein DJ rief ständig die fehlenden Minuten bis Mitternacht in die verschiedenen abgespielten Songs herein. Eine kleine Zusammenstellung meiner eigenen Fotohoehepunkte des Feuerwerks Schließlich wurde dann ganz traditionell die letzten zehn Sekunden auf Portugiesisch rückwaerts gezählt (ich glaube, es war das erste Mal, dass ich zu Silvester die Zahlen in einer anderen Sprachen rückwärts gezählt habe). Selbstverständlich knallten dann auch die Sektkorken und das Feuerwerk, das am Strand aufgebaut war, fing an. Nach 15 Minuten, ich habe währenddessen fleßsig die "Feuerwerk-Funktion" meiner neuen Kamera ausprobiert, war es jedoch bereits wieder vorbei und die Menschen verstreuten sich beziehungsweise blieben einfach dort, um auf das für 01:00 terminierte Konzert der besonders bei Jugendlichen meines Alters vergötterten Band d'zrt (sprich diiisört) zu warten. Währenddessen verriet mir meine Gastschwester, die nach drei Plastikbechern Sekt schon sehr alcoolicamente bem-disposta war (offizieller Begriff für angeheitert, wörtlich alkoholisch bzw. auf Grund von Alkohols gut gelaunt), dass es ihr erstes Silvester ohne Eltern sei. Da fiel mir ein: Gleiches auch bei mir, nur dass ich "erst" 17 bin, sie bereits 24.

Die darauffolgenden Stunden wurden, wie üblich, in den verschiedensten Bars und Örtlichkeiten verbracht. Ich hab zahlreiche neue Bekannte meiner Gastgeschwister kennen gelernt... Im Grund genommen ist das portugiesische Silvester nicht groß anders als das deutsche. Wenn überhaupt, gibt es den Unterschied, dass hier nicht wie in einigen Regionen Süddeutschlands Fondue gemacht wird, es kein Bleigießen gibt, kaum Luftschlangen, erst recht keine Knallerbsen und dass die Portugiesen selbst kaum "knallen", die jeweilige Stadt veranstaltet das Feuerwerk.

Viele Grüße, bis bald und até breve --Cornelius

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